Ich habe Tränen gelacht: Machen statt Reden und Denken
Im Ki Wi Verlag erscheint der Roman Kleine Probleme von Nele Pollatschek.
Der 49-jährige Lars ist Denker und angehender Schriftsteller, ein Mensch, der wenig praktisch veranlagt ist und mehr über die anliegenden Aufgaben nachdenkt, als sie schlussendlich mal anzupacken und abzuarbeiten. Seine Frau Johann verreist in der Woche vor Silvester, mit der Ansage, bitte zu Silvester einen Nudelsalat (Rezept hängt am Kühlschrank) zuzubereiten und zur Feier beim gemeinsamen Sohn mitzubringen. In dieser Woche nimmt Lars die nötigen Aufgaben in den Blick, es gilt die Wohnung zu putzen, die Steuererklärung zu machen und das Bett seiner Tochter zusammen zu schrauben. Das neue Jahr will er mit einem aufgeräumten Leben ohne ausstehende Aufgaben beginnen. Doch schneller als gedacht ist die Woche ohne große Aktivitäten vergangen, Lars verbleibt nur noch Silvester und er macht sich an seinen Plan, den er Punkt für Punkt angeht. Natürlich mit seiner ihm eigenen, etwas verpeilten Art.
Nele Pollatschek hat einen wortgewandten, bildhaften Erzählstil, der Lars Probleme des Alltagslebens auf wunderbar humorvolle, aber auch liebevolle und manchmal sogar philosophisch ausufernde Weise beschreibt. Zu Anfang musste ich mich erst einmal an die ellenlangen Kettensätze gewöhnen, die wie ich später bemerkte, aber ganz wunderbar der Art des passiven Dauer-Denkers Lars entsprechen. Es ist eine Geschichte, die tragisch und komisch zugleich daherkommt. Wer sich vor unerledigten Dingen drückt, den erwischt das schlechte Gewissen spätestens zum Jahreswechsel.
Eine Woche ohne Frau und Kinder vor Silvester ist die Chance für Lars, endlich mal die liegen gebliebenen Aufgaben zu schaffen, die seit langer Zeit liegen geblieben sind und die er bisher nur vor sich hergeschoben hat. Doch diese freie Woche verstreicht ohne große Aktivitäten und zu Silvester packt Lars die große Panik. Ihm bleibt noch ein Tag, um seiner Familie zu beweisen, was er so schaffen kann. Sie kennen seine Untätigkeit und diese Wunde nagt an ihm. Es hilft alles nichts, er muss den Wochenplan abarbeiten. So reinigt er im Winter bei Schneetreiben die Regenrinne, weiß aber selbst, wie viel besser das im Herbst gegangen wäre. Das neue Bettgestell von IKEA für seine Tochter befindet sich seit Monaten noch in den Originalkartons, sie schläft auf einer Matratze auf dem Fußboden. Er erfindet Namen für alle tausend Bauteile und Schräubchen und ergeht sich fast selbst verliebt in seinen Wortschöpfungen. Und die überaus nötige Putzaktion artet in eine wahre Chaosorgie aus, bei der ich Tränen gelacht habe.
Während seiner gerade ausgeführten Aufgabe macht sich Lars ausufernde Gedanken, die meistens mit der Aufgabe kaum etwas zu tun haben. Mit diesen Denk-Ergüssen stellt er seiner Leserschaft seine Familie und seine eigenen Unzulänglichkeiten vor. Man kann sich während des Lesens nur wundern, dass Johanna nicht schon längst die Reißleine gezogen hat und dass ihn seine Kinder nicht für völlig unfähig halten.
Lars möchte seinem Leben neuen Schub geben und seiner Familie beweisen, dass er auch ein Macher ist. Deshalb will er sich ändern und endlich mal etwas bewegen. Doch mit jeder kleinen Aktion erkennt man seine schräge Verpeiltheit, lacht über merkwürdige Vorgänge und hofft inständig, dass ihm seine Aufgabe gelingt. Am meisten habe ich darüber gelacht, wie sich Lars bei jeder noch so kleinen erledigten oder nicht erledigten Sache feiert.
Eine literarische Perle, die uns die Unzulänglichkeiten der Trägheit vor Augen hält, die uns von vielen Aufgaben des Lebens abhält. Doch wenn die Liebe in Gefahr ist, muss man etwas bewegen!
***Herzlichen Dank an den Ki Wi Verlag für dieses Rezensionsexemplar!***
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