Donnerstag, 23. Juni 2022

Henny - Die Frauen vom Karlsplatz - Anne Stern

Ein fesselnder Band um eine junge Frau, die selbstbewusst ihren Weg geht
  
"Henny - Die Frauen vom Karlsplatz" ist der zweite Band der Lichterfelde-Reihe von Anne Stern aus dem Rowohlt Verlag

Die Protagonistin des ersten Bandes, Auguste, hat wegen ihrer unehelichen Tochter Henny zu ihrer Familie keinen Kontakt mehr. Nach Augustes Tod hat Henny Geldsorgen und muss zusehen, wie sie ihr Medizinstudium finanzieren kann. Bisher konnte sie auf Hilfe ihres Onkels Ludwig zählen, doch der hat jetzt selbst Probleme. Nun setzt sie ihre Hoffnung auf ihren leiblichen Vater, den sie nicht kennt. Und dann trifft sie auch noch auf den angehenden Chirurgen Paul, mit dem sie eine Beziehung eingeht. 
 



Henny studiert zielstrebig und setzt sich gegen die Anfeindungen ihrer männlichen Kommilitonen durch. Sie ist schlagfertig und zeigt durch ihre Leistung, wozu Frauen fähig sind. Damit imponiert sie auch Paul und sie kommen sich näher. Durch ihre finanzielle Not angetrieben, sucht sie verbissen nach ihrem unbekannten Vater und hofft immer noch auf eine familiäre Bindung.  
 
Anne Stern knüpft inhaltlich mit ihren Figuren direkt an den ersten Band an, sie erzählt bildhaft und spannend, wie sich die Geschichte von Henny entwickelt. Dabei kommen ihre Durchsetzungskraft im Studium in einer Männerwelt, aber auch ihre Gefühle und besonderen Erlebnisse klar zum Ausdruck. Mir gefällt der beschriebene Zeitgeist mit passenden Erlebnissen wie den Besuchen in Lichtspielhäusern und Lokalen, sie sorgen für eine heitere Atmosphäre. Diese Szenen sorgen für wohltuenden Kontrast, die der Ausbruch des ersten Weltkriegs mit seinen bedrohlichen Auswirkungen mit sich bringt. Wie es an der Front von Ypern läuft, kann man den eindringlich geschriebenen Briefe eines Soldaten entnehmen. Seine Briefe sind Hilfeschreie, die betroffen machen und man erfährt erst gegen Ende, an wen sich seine Briefe genau richten.
 
Bei dieser Geschichte finde ich den Ablauf der Handlung sehr gelungen. Hennys Leben und ihre Liebesgeschichte werden wunderbar in das Zeitgeschehen eingebunden und so zeigt sich die politische Entwicklung, die Verfolgung von Homosexuellen und auch das Erstarken der Nazis und bekommt durch damit verbundene Nebenfiguren ein intensives Gewicht. Die Zeit wird erlebbar mit all ihren Bedrohungen und gesellschaftlichen Veränderungen. 

Der Kriegsausbruch wurde von vielen Deutschen begrüßt, es gab aber auch viele, die den Krieg ablehnten. Henny und Paul sind ebenfalls unterschiedlicher Meinung, trotzdem ist ihre Liebe und Zuneigung ungebrochen. Eine Heirat kommt aus finanziellen Gründen nicht in Frage und Paul muss an die Front. Henny sorgt sich, dass sie ledig bleibt und vielleicht ein ähnliches Schicksal erlebt, wie ihre Mutter. Und sie möchte auf keinen Fall auf ihr Studium verzichten. 

Eine bewegende und fesselnde Fortsetzung mit gut gezeichneten Charakteren, die die Menschen dieser Zeit gut darstellen. Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Teil.
 
***Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für dieses Rezensionsxemplar!***
 

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