Unglaublich berührender und dramatischer Roman über die tiefe Verbundenheit zwischen Geschwistern.
Memphis, Tennessee:
1939 lebt die 7-köpfige Familie Foss auf dem Mississippi als Flußzigeuner auf einem Hausboot. Queenie, die Mutter von vier Mädchen Rill, Camellia, Lark, Fern und einem Sohn, Gabion, liegt in den Wehen, die Geburt ist kompliziert, denn sie erwartet Zwillinge. Ohne ärztliche Hilfe wird sie die Geburt nicht schaffen, also bringt sie ihr Mann Briny in ein Krankenhaus. Die fünf Kinder bleiben im Boot allein zurück und werden von Mitarbeitern in ein Waisenhaus der Tennessee Childrens´s Home Society in Memphis gebracht. Den Kindern wird erzählt, dass die Eltern sie bald wieder abholen werden und sie fügen sich in ihr Schicksal. Rill hat mit ihren 12 Jahren das Versprechen abgegeben, auf ihre Geschwister aufzupassen. Doch sie hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die sie nicht erahnen kann.
Die Tennessee Childrens´s Home Society unter der Führung von Georgia Tann war ein grausames Kapitel in der Waisenhaus- und Adoptionsgeschichte von Memphis in den 20er bis 50er Jahren. Unter dem Deckmantel der Fürsorge für arme, unerwünschte und vernachlässigte Kinder, wurden Babies und Kleinkinder durch Späher ausgesucht, ihren Eltern abgeluchst oder sogar verschleppt, um dann gegen Geldzahlungen an adoptionswillige Eltern verkauft zu werden. Die Heime wurden nicht kindgerecht geführt und niemand ging den wahren Machenschaften der geldgierigen Kriminellen nach, der Skandal wurde selbst von höheren Regierungskreisen unterstützt. Offiziell wurden armen Kindern ein neues Heim und bessere Lebensbedingungen geboten. Aber eigentlich war das nur Kinderhandel in übelster Art und Weise und es betraf Tausende von Kindern, die nie wieder in ihre Familien zurück kehrten.
In ihrem Roman arbeitet Lisa Wingate die schrecklichen Schicksale dieser den Familien entrissenen Kinder auf.
Dazu stellt sie in einem Handlungsstrang das Leben auf dem Hausboot und die Entführung und den weiteren Verlauf der Kinder der Familie Foss dar. Es sind schöne, bildhafte Darstellungen von der Natur, vom Leben auf dem Fluss, von Armut und Familienleben und dem engen Zusammenhalt der Geschwister, aber auch sehr betroffen machende Schilderungen durch die Verschleppung ins Waisenhaus und den schlimmen Machenschaften vor Ort.
Circa 70 Jahre später macht Avery Stafford, eine junge Juristin, in einem Altenheim eine ungewöhnliche Entdeckung. Ihr Libellenarmband, ein Familienerbstück, wird von der über 90jährigen Bewohnerin May als ihres erkannt. Diese Erkenntnis bringt Avery dazu, sich auf die Suche nach dem dahinter liegenden Familiengeheimnis zu machen, denn ihre Großmutter ist an Demenz erkrankt und von ihr sind keine Informationen zu erfahren. Avery kommt zu erschütternden Erkenntnissen, die auch ihr eigenes Leben verändern werden.
Mich hat diese Geschichte sehr berührt und ich habe insbesondere mit Rill und den anderen Kindern mitleiden müssen. Es ist schwer zu glauben, wie herzlos und ohne jegliche Schuldgefühle Giorgia Tann und ihre Mitarbeiter mit den Kindern umgingen und sie wie eine Handelsware auf dem "Markt" zu Geld machten. Der Autorin lag sehr an einer Publikmachung dieses Skandals und das ist ihr mit ihrer Aufarbeitung in Romanform ausgesprochen gut gelungen.
Wie hier die kindliche Protagonistin Rill/May ihre inneren Kämpfe ausfechtet, um ihre Geschwister zu schützen, ist überaus beeindruckend und überzeugend dargestellt. Sie allein vermag es nicht, sich gegen die Mitarbeiter zu wehren, auch wenn sie es noch so gern möchte. Die ständige Angst um die Geschwister und die Strafen im Heim hat man als Leser dauernd vor Augen und man möchte sie am liebsten beschützen.
Dieses Bild von Kinderheimen setzt sich dauerhaft fort, es wird nicht nur im amerikanischen Heimen solche Machenschaften gegeben haben, das ist nach dieser Lektüre das schlimme Resümee. Man kann nur hoffen, dass heutige Jugendämter mehr Kontrolle ausüben.
Die Nachforschung Averys sorgt für den neueren zeitlichen Bezug, man möchte mit ihr hinter das Geheimnis ihrer Großmutter kommen. Es gibt noch eine eher nebensächlich verlaufene Liebesgeschichte, die sich nicht so sehr in den Vordergrund drängt.
Der Schreibstil der Autorin ist sehr detaillreich, bildhaft und lebendig gestaltet, man findet sich in Rills kindlicher Sichtweise wieder und erkennt ihre Liebe zu den Geschwistern sehr genau. Ebenso deutlich wird auch der Zwiespalt von Avery in ihrer Verantwortung für den guten Ruf ihrer Familie. Doch im Ganzen folgt man viel gespannter Rill und ihren Erlebnissen.
Das Ende klärt einige Ungereimheiten auf, es führt Menschen zusammen und kann doch die Lücken der Familien nicht endgültig schliessen.
Ein Schicksalsroman, der den Leser teilhaben lässt an kindlichen Schicksalen und der besonders die tiefe Verbundenheit zwischen Geschwistern sehr gut zeigt. Von mir eine volle Leseempfehlung, denn so etwas darf sich nicht wiederholen.
***Herzlichen Dank für dieses Leseexemplar an den Blanvalet Verlag!***
Hallo liebe Barbara,
AntwortenLöschenda ich das Buch im vergangenen Jahr gelesen habe, kann ich bei deiner gelungenen Rezension nur nicken und mich über deine Worte zum Buch freuen.
Zwar lese ich ein Buch nie 2mal, doch bei diesem könnte ich es mir vorstellen.
Liebste Grüße, Hibi
Hallo liebe Hibi,
Löschenes freut mich sehr, dass ich dir aus der Seele spreche. :-)
Meine Rezi ist auch nach dem zweiten Lesen gleich geblieben. Denn die Eindrücke konnten mich genauso wieder erreichen.
Lg Barbara
Huhu,
AntwortenLöschenschau mal hier: https://melbuecherwurm.blogspot.com/2019/12/auslosung-blogger-adventskalender-2019.html
Viele Grüße,
Mel
Liebe Mel,
Löschendas ist ja eine tolle Überraschung und ich bin schon sehr gespannt, was du eingepackt hast.
Vielen lieben Dank und ich wünsche dir noch eine angenehme Vorweihnachtszeit.
lg Barbara
Hallo liebe Barbara,
AntwortenLöschendas Buch klingt ja nach einem richtig bewegenden Roman.
Freut mich, dass Du so schöne Lesestunden damit verbracht hast.
Ich bin mir sicher, die Lektüre wirkt noch lange nach.
Herzliche Grüße und einen tollen Wochenstart
Liebe Grüße
Andrea ♥
Hallo liebe Andrea,
Löschendas ist es auch! :-)
Ich habe das Buch zum zweiten Mal gelesen, das passiert ja nicht oft und dennoch konnte es mich wieder genauso packen wie beim ersten Lesen.
LG Barbara
Hallo Barbara, Deine Zeilen klingen dramatisch und versprechen ein berührendes Buch, welches mich total anspricht. Danke für den Tipp!
AntwortenLöschenLG Angela
Hallo liebe Angela,
Löschendieses Buch wird auch dich in seinen Bann ziehen. Die Kinderschicksale sind allerdings nicht ganz ohne.
lg Barbara
Das Buch steht eigentlich auf meiner Wunschliste recht weit oben,
AntwortenLöschenaber ob ich es jetzt noch lesen möchte?
Mir gehen so Schicksale immer sehr nah, ich weiß nicht, ob ich das in meiner knappen Lesezeit noch möchte.
Aber interessant hört es sich wirklich an.
Lieben Gruß
Nicole
Liebe Nicole,
Löschenes liest sich spannend wie ein Krimi, nur kann ich dir die Entscheidung leider nicht abnehmen.:-)
Liebe Grüße
Barbara